Die acht Täler des Lebens

Das Leben hält für uns bestimmte Herausforderungen bereit, mit denen wir alle in den einzelnen Lebensabschnitten konfrontiert werden. Der Entwicklungspsychologe und Psychoanalytiker Erik H. Erikson benennt acht solcher Herausforderungen in seinem Stufenmodell.

Jede dieser Stufen enthält eine Herausforderung, die uns, wenn wir sie gut bewältigen, gestärkt und freier leben lässt. Andernfalls bleiben Defizite zurück und ein Mangel an Vertrauen und Stärke in die eigene Kraft stellt sich ein. In der Folge können uns Schuldgefühle und Verlustängste auf unserem weiteren Lebensweg begleiten.

Das Modell kann uns helfen, uns besser zu verstehen und kann uns akzeptieren lassen, wenn wir uns helfen lassen sollten.

1. Ur-Vertrauen oder Ur-Misstrauen (1. Lebensjahr) „Ich bin, was man mir gibt.“

Wir benötigen in dieser Phase körperliche Nähe, viel Sicherheit und ein starkes Gefühl der Geborgenheit. Stellt sich diese Gefühl ein, lernen und erfahren wir, dass wir vertrauen dürfen, dass jemand kommt wenn wir bedürftig sind und die Welt insgesamt ein guter Ort für uns ist. 

Im anderen Fall machen wir die Erfahrung der kompletten Hilflosigkeit. Wir fühlen uns einer Umgebung ausgeliefert, die wir nicht beeinflussen können. Die Folge ist, dass wir beginnen nach Nahrung oder Liebe zu hungern und oft lässt uns dieses Gefühl ein Leben lang nicht mehr los. Es äußert sich in einer inneren Leere und Einsamkeit, den Grundsymptomen jeder Depression. Wir fühlen uns bedroht und entwickeln ein Ur-Misstrauen gegenüber allem und jedem. 

2. Autonomie oder Scham (2. bis 3. Lebensjahr) „Ich bin, was ich will.“

In dem wir größer werden, können wir beginnen die Welt eigenständig zu erkunden. Wir benötigen jedoch weiterhin die Unterstützung und das Vertrauen durch unsere Eltern. Erhalten wir beides lernen wir, dass wir uns ausprobieren dürfen, ohne dass wir die Liebe aufs Spiel setzen. Auf diese Weise gelingt es uns, unsere Abhängigkeit zu verringern sowie Selbstbewusstsein zu entwickeln.

Andernfalls machen wir die Erfahrung, dass, wenn wir unseren Bedürfnissen folgen, wir Liebe und Vertrauen aufs Spiel setzten oder gar aufgeben. Wir beginnen Scham zu entwickeln und an uns selbst zu zweifeln. Für unsere Triebe und Bedürfnisse fühlen wir uns falsch und schmutzig. Die Folge ist die Entwicklung von Ängsten und zwanghafter Eigenschaften und wir werden übertrieben kleinlich, ordentlich und pünktlich. Wir tun alles um die Anforderungen, die für unser Bedürfnis nach Liebe gestellt werden, zu erfüllen. Gleichzeitig kritisieren wir uns hart, zweifeln an uns und streben nach Perfektion.

3. Initiative oder Schuldgefühl (4. bis 6. Lebensjahr) „Ich bin, was ich mir zu werden vorstellen kann.“

Der Weg geht weiter zu noch mehr Autonomie und Eigeninitiative. Wir kommen in den Kindergarten und beginnen uns von der Mutter abzulösen. Gleichzeitig entwickeln wir ein Gefühl für soziale Rolle und unser Gewissen bildet sich aus. Je mehr wir in dieser Phase nach außen dringen, desto mehr brauchen wir die Unterstützung und das Vertrauen durch die Eltern. Nur so gelingt es uns nicht nur äußerlich sondern auch im Innen zu wachsen.

Sollte uns das Vertrauen und die Liebe der Eltern entzogen werden, nur weil wir unseren Bedürfnissen folgen, wächst weiter ein Schuldgefühl in uns. Wie sehen uns selbst als böse und unser Ich als schlecht an. Auf diese Weise werden Bedürfnisse und Triebe abgespalten und wir schränken uns ein. Entweder ein Gefühl der Minderwertigkeit begleitet uns oder wie kompensieren über, indem wir ständig initiativ sein wollen und für Leistungen alles tun. Ein Burnout kann die Folge sein und dies alles auf der Suche nach Liebe und Anerkennung unseres Selbst.

4. Kompetenz oder Minderwertigkeitsgefühl (6. Lebensjahr bis Pubertät) „Ich bin, was ich lerne.“

Wir wollen etwas Nützliches tun und ein Teil der Erwachsenenwelt werden. Gleichzeitig wollen wir unsere Kompetenzen ausprobieren und erweitern. Es ist wichtig, dass wir uns als kompetent erfahren und dies in einem angemessenen Rahmen. Wir dürfen nicht überfordert oder unterfordert werden, das eine lässt uns resignieren, das andere langweilen. Wir benötigen in dieser Phase Aufmerksamkeit, Hinwendung, Erklärungen und das Gefühl Ernst genommen zu werden. Nur so bilden wir einen gesunden Eifer aus.

Andernfalls fühlen wir uns überfordert und scheitern wird zum Grundgefühl. Wir entwickeln selbst nur wenig Vertrauen in unsere Fähigkeiten und sehen uns selbst als überflüssig an. Die Folgen sind Minderwertigkeitsgefühle, Angst vor Arbeit und Versagen, oder aber wir überkompensieren mit einem ungesunden Leistungswille.

5. Identitätsfindung oder Identitätsverwirrung (12. bis 18. Lebensjahr / Jugend) „Ich bin, was ich bin.“

Die Kindheit endet und wir nehmen deutliche Veränderungen an unserem Körper wahr. Beides verunsichert uns und wir beginnen unsere eigenen Identität zu suchen, in dem wir unterschiedliche soziale aber auch sexuelle Rollen ausprobieren. Wir schließen uns Gruppen an und trennen uns wieder, alles im Rahmen einer eigenen Identititätsfindung, Wenn Selbst- und Fremdwahrnehmung weitestgehend übereinstimmen, festigen wir uns selbst. Wir lernen, treu sein zu können, uns selbst und anderen Menschen gegenüber. Was wir weiterhin brauchen, ist ein akzeptierender Rahmen, in den wir zurückkehren können und der uns Sicherheit gibt, sollten wir uns als gescheitert wahrnehmen.

Andernfalls nehmen wir uns selbst bruchstückhaft wahr und bleiben im Grundsatz verwirrt. Ein Gefühl der Ablehnung gewinnt an Dominanz. Rollen werden ständig gewechselt und ewige Pubertät droht, d. h.  kurzfristige und vorschnelle Begeisterung und Langweile wechseln sich ab. Auch möglich ist, dass die Rollen zu starr werden und wir beginnen andere auszugrenzen, wegen ihrer Hautfarbe, Rasse oder Nationalität.

6. Gemeinschaft oder Isolierung (18. bis 30. Lebensjahr / frühes Erwachsenenalter) „Ich bin, was ich liebe. / Wir sind, was wir lieben.“

Die Gemeinschaft nimmt an Bedeutung zu, verbunden mit Sexualität, Liebe aber auch Freundschaft. Wir lernen, dass der Weg vom Ich zum Wir führt. Gelingt uns dies, reifen wir in gleich mehreren Bereichen. Sexuell, gefühlsmäßig und moralisch. Wir erfahren, dass wir das Leben und Intimität miteinander teilen können ohne uns selbst aufzugeben.

Sollte uns diese Erfahrung nicht gelingen, ziehen wir uns in Isolation zurück. Wir leugnen eigene Gefühle und Bedürfnisse. Kalte und rücksichtslose Karrieren sind meist die Folge oder aber wir verlieren uns in dem Wunsch in Selbstaufgabe mit anderen zu verschmelzen.

7. Schaffenskraft oder Stagnation und Selbstbezogenheit (30. Bis 50. Lebensjahr / mittleres Erwachsenenalter) „Ich bin, was ich zu geben bereit bin.“

Das Geben rückt in dieser Phase in den Mittelpunkt. Wir gründen eine Familie und bekommen Kinder, die wir großziehen. Gleichzeitig möchten wir der Gesellschaft, in der wir leben, etwas zurückgeben, ihr einen echten Nutzen stiften und die Zukunft gestalten. Gelingt uns dies, lernen wir zu geben, ohne uns dabei zu verlieren. Andernfalls, wenn unsere Anstrengungen zu Enttäuschungen führen und unser Bedürfnis nach Fürsorge keinen Raum bekommt, ziehen wir uns zurück auf unsere Wünsche, unseren Genuss und unseren materiellen Besitz. In all dem stellen wir dennoch fest, dass uns der Sinn fehlt. Ebenso ist es möglich, dass wir zu viel geben und die eigenen Kinder überbemuttern /-vatern.

8. Integrität oder Verzweiflung (50. bis Lebensende, reifes Erwachsenenalter) „Ich bin, was ich mir angeeignet habe.“

Nach dem Aufstieg … der Abstieg. Die Schwerkraft gewinnt an Macht, an den Organen nagt die Zeit, ohne Job bröckeln Anerkennung und Struktur, die Musik wird leiser, die Zeit vergeht sowohl immer schneller als auch gar nicht mehr, der Tod lauert irgendwo, und das Irgendwo rückt näher und näher.

Gelingt es uns in dieser Phase unsere Erlebnisse zu integrieren, festigt sich der Glauben, gut gelebten Lebens und dass wir den Rest auch noch gut bewältigen werden. Verbunden ist dies mit einem Gefühl von Ganzheit und Zufriedenheit. Wir können das Altern akzeptieren. Gelingt uns dieser Schritt jedoch nicht, stellen sich Verzweiflung und Angst ein und wir blicken in eine Art Abgrund. Im schlimmsten Fall verachten wir uns, wegen ungenutzter Chancen und einem ungelebten oder unerfüllend gelebten Lebens.

Freude ist der natürliche Zustand der Seele

Es ist höchst selten, dass wir durch unser Leben kommen und alle Chancen und Möglichkeiten genutzt haben, die es für uns bereit gehalten hat. Schicksalsschläge kommen hinzu oder einfach einschneidende Lebensveränderungen, die in den einzelnen Phasen zu Defiziten führen oder geführt haben. Jedoch ist es nie zu spät sich der eigenen Biografie zu stellen und auf diese Weise in den eigenen Lebensweg zu integrieren. Ziel sollte es sein, das Leben, wie immer es verläuft, als sinnhaft und lebenswert zu erleben und aktiv zu gestalten.

Freude ist der natürliche Zustand der Seele und haben wir den Kontakt zu dieser Freude verloren, ist es höchste Zeit den Weg hierhin zurück zu finden. Auch wenn wir unseren Weg alle selbst gehen, müssen wir ihn nicht allein gehen. Professionelle Unterstützung in Form einer Gestalttherapie kann Sie dabei in einem geschützten Rahmen begleiten.

 

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